Petter
Moen (14.02.1901 - 8.09.1944): Sein differenziertes Credo
Aus
Moens Gefängnistagebuch, 1944, in der Gestapohaft in Oslo
geschrieben
Von
der Menschenfeindlichkeit des Faschismus
Ein
fortwährend lebendiges Tagebuch: Die Gefängnisaufzeichnungen des
Norwegers Petter Moen
Die
Umstände, die dieses
Gefängnistagebuch gebaren, sind - auch ungefähr 60 Jahr nach seiner
Entstehung - schockierend und beispielhaft für die
Schulbuchverwendung:
Im
Jahre 1944 wurde ein norwegischer Widerstandskämpfer, der
Versicherung-smathematiker Petter Moen, der die widerständige, von
den siegreichen Nazis „illegal“ genannte Presse zu organisieren
suchte, verhaftet, verhört, gequält und gefangengesetzt.
Er
unterlag - unter großen Gewissenskonflikten - der Folter der
Gestapo, verriet Kameraden. Darüber legte er Rechenschaft ab, indem
sich in seiner Einzelzelle eine Gelegenheit verschaffte, auf
Toilettenpapierseiten ein fortlaufendes Tagebuch zu verfertigen, das
er in einem Belüftungsschacht unter dem Fußboden verstecken konnte,
ohne dass er selber je eine dieser in Papierrollen geschützten
Seiten wieder einsehen konnte.
Von
diesem geheimen Versteck berichtete er - auf einem
Gefangenentransport auf der Überfahrt nach Deutschland - einem
Mithäftling. Das Schiff ging unter, bis auf fünf Norweger, darunter
der Mitwisser, ertranken alle; die Nachricht von diesem
Gefängnistagebuch wurde nach der Befreiung Norwegens gesichert, das
Tagebuch gerettet, die Umstände geklärt.
Neben
dem Tagebuch der Anne Frank und vielen wichtigen Holocaust-Berichten,
ist dieses „Über-Lebenswerk“ des Petter Moen eine
Menschheitsquelle - von biblischem Range, ein Bericht von
prophetischen Dimensionen, ein hochqualifiziertes „Buch Hiob“ in
unseren Zeiten; ein Werk, in dem ein Mensch mit seinen Mitgefangenen,
mit den deutschen Besatzern (Folterern und Gestapobeamten) - und mit
Gott spricht, rechtet, ihn - in der sprachlich-mentalen Gewissheit
der erlebbaren Hoffnung - anruft, seiner Mit- oder Gegen-Menschen
Taten und Untaten anklagt - und einen - leider nur für Minuten und
Stunden erreichbaren – Frieden erreicht, eine äußerst - von den
deutschen NS-Gewalttätern immer wieder bedrängte - innere Freiheit
des Geistes und Willens erlebt. Und Reflexionen auf politischem,
psychologischem und theologischen Niveau des gesamten 20.
Jahrhunderts niederschreibt.
In
unseren Tagen, wo Neonazis ähnliche Untaten wie von 1933 bis 45
begehen - und in großem Maßstab wieder Mißhandlungen,
Verfolgungen, Völkermord begehen würden, sind des Märtyrers und
Philosophen Moens Einsichten - Fragen, Hoffnungen, Gewissheiten -
über Menschenmögliches und politisch Aktuelles und
Immerwiederkehrendes.
Mit
einem Vorwort, in dem er die Umstände und die - für die
Nachkriegszeit schockierenden, theologisch-freizügigen Reflexionen
darstellt, hat der baltendeutsche Dichter Edzard Schaper den Text -
nach dem norwegischen Original - für deutschsprachige Länder
übersetzt und herausgegeben.
Zu
Moens Biografie: Infolge der pietistisch-frömmelnd-ungerechten
Erziehung der Eltern hat sich Petter Moen als Erwachsener nicht mehr
mit Gott, schon gar nicht mehr mit Kirche (oder Kirchen)
auseinandergesetzt. So bleibt in den gesamten Aufzeichnungen die
konfessionelle Frage ausgeklammert.
Auszüge:
Textauszug
vom 10.08.1944:
Donnerstag
nachmittag
Ich
muß in der Erinnerung besonders häufig zur Einzelzelle und der Zeit
der Victoria Terrasse zurückkehren. Mit unbeschreiblicher Wehmut
gedenke ich der Angst und der Tränen und der beinahe wilden
Entschlossenheit, zu einer geistlichen Wiedergeburt zu gelangen. Von
dieser Wiedergeburt - oder Bekehrung, wenn man so will - träumte
ich, und nach ihr sehnte ich mich als nach einer großen Erneuerung
meiner seelischen und leiblichen Kräfte zu Wachstum und Wohlergehen.
»Jetzt oder nie! « sagte ich und schrieb ich und betete ich. »Der
große Gewinn« glitt mir aus den Händen. Was dieser Spannung
folgte, wirkt unheimlich banal und niederschmetternd. Ich sage zu mir
selber: Du hast Fiasko gemacht. Was ich damit meine, ist wohl nichts
anderes, als dass ich enttäuscht bin. Diese Enttäuschung betrifft
am stärksten mich selbst und meine Eigenschaften und Fähigkeiten.
Aus Schlacken wird kein Gold geschmolzen. Alles endet in diesem
alten, verbrauchten, menschlichen »man muß sich durchschlagen, so
gut man kann«. Pfui Teufel! Man gebe mir ein echtes Strindbergsches
Inferno!
Ich
habe hier im Gefängnis häufig in Rede und »Schrift« darauf
hingewiesen, der ganze psychologische und historische Hintergrund
zeige, dass Religion Menschenwerk und nichts anderes ist. Ihre
»Wahrheiten« entbehren aller Kennzeichen der Objektivität:
Kausalität, Meßbarkeit und Wiederholungsfreiheit.
Genau
so verhält es sich mit der »Wahrheit« in dem eigentlichen
religiösen Grundphänomen: Gottes Wirken im Menschen. Das vollzieht
sich nicht nach einem Gesetz, dessen Wirkungen können nicht
gemessen, und es kann nicht zum Gegenstand verifizierender
Experimente gemacht werden.
Die
Behauptung der Religion: es existiere ein »Gott« außerhalb des
Menschen, und dieser Gott sei mächtig, ja allmächtig, in
seinem Wirken im Menschen und in der Natur - diese Behauptung kann
also mit keiner der uns bekannten Beweismethoden bewiesen werden. Der
Intellekt hat hier eine ungeheuer starke Ausgangsposition. Er
legt seine Grundregel vor: der Beweis obliegt dem, der die Behauptung
aufstellt. Bis jetzt ist der Beweis ausgeblieben.
Den
Gegenbeweis erbringt unsere ganze Natur- und Menschenkenntnis. Klarer
als irgendeine Zeit vor uns sehen wir, dass der alte Jehovah nicht
der Meister des großen Werkes ist, und ebensowenig irgendeiner
seiner Nachfolger.
Die
Geschichte Gottes zeigt uns vielmehr, dass er in vielen Formen vom
Menschen erschaffen worden ist. Er hat viele Namen, aber nur eine
Aufgabe: Träger des menschlichen Schuldbewußtseins, der Angst und
der Wünsche zu sein.
Er
gehört der magischen Welt an. Noch einmal: Gott ist ein Produkt der
Wunschträume des Menschen. Das ist die ultima ratio in den
Diskussionen um Gottes Existenz und Wesen.
Warum
beschäftige ich mich hier so weitläufig mit dieser abgenutzten
Frage? Ich habe sehr gute Gründe dafür. Ich muß mit der
Möglichkeit rechnen, dass mein Leben auf dem Spiel steht. Auf jeden
Fall gehen mir viele bange Ahnungen durch den Sinn, wenn ich an die
Unbarmherzigkeit des Gegners und die Raserei denke, welche die letzte
Phase des Krieges prägt. Da muß auch ich »mein Haus bestellen«.
Aber wenn auch das Exekutionskommando auf mich wartet - ich kann mir
kein „Credo“ abzwingen. Ich versuchte das in der äußersten Not
in der Einzelzelle.
Es war vergebens!
190.
Tag Freitag, den 11. August
Nichts
Böses wird mir widerfahren!
Dieses
Wort hat Macht!!
Wenn
über Religion diskutiert wird, kehrt beständig dieses »Argument«
wieder: Es ist klar, dass derjenige, der an Gott glaubt, es gut hat.
- Von den Einfältigen wird dieser Es-gut-haben-Zustand als Beweis
für die Wahrheit der Religion genommen. Der »klügere Kopf« stellt
die Sache häufig so dar. Wir können die Behauptungen von der
Existenz Gottes weder beweisen, noch den Gegenbeweis führen. Für
den Gläubigen existiert er. Wir können die Behauptung des
Gläubigen, dass Gott ihn tröstet und ihm hilft, nicht
bezweifeln.
(Aus: P.M.:
Tagebuch. Übersetzt und herausgegeben von Edzard Schaper. (Deutsch
zuerst 1950); Fi-TB Nr. 306; 1959., S. 104f.)
Was der
einsame Held erreichte, war individuell eine psychische Leistung,
eine Errungenschaft in barbarischen Zeiten.
Für die
Leser der 50er Jahre war als Information und für Bildungszwecke
eine Sensation, die sich aber in den allgemeinen politischen Bereich
nicht fortsetzte.1959 publizierte der Fischer-Taschenbuchverlag eine
Ausgabe (Fi-Tabu 306). Das Wissen dun die damaligen Bücher sind
verschwunden.
In der
Wikipedia-Auflistung zu Edzard Schapers Leben und Werk findet sich
die Angabe zu der „Peter Moen“, ohne weitere Würdigung:
Peter
Moen selber hatte, als Abschluss seines Gefängnisleben in der Manier
eines auktorialen Erzählers notiert:
„Petter
Moen fuhr heute nach Deutschland. Um 3 Uhr kamen sie und holten ihn,
es war traurig, jetzt dorthin geschickt zu werden. Heute ist der 6.9.
O.B.R.“
Moen
verstarb bei dem Untergang des Dampfers „Westfalen“, der in der
Nacht vom 7. zum 8. September im Skagerrak auf eine Mine lief; ein
Schiff, das 423 Norweger als Zwangsarbeiter in die Rüstungsindustrie
des Deutsche Reiches in Hitlerscher Montur verbringen sollte.
1959
hieß es in der Taschenbuch-Werbung: „Die erschütternden
Aufzeichnungen sind nicht nur ein Dokument der Vergangenheit, sondern
auch ein Zeugnis der immerwährenden Frage des Menschen nach Gott.“
Von der politischen Dimension des Schicksals eines Individuum namens
Petter Moen kein Wort!
Angekommen
in Deutschland ist er nicht.
[Angabe
für eine Publikation: Sechs Bilder - in der Taschenbuch-Ausgabe
zwischen 96 und 97 – geben einen Eindruck der Zelle des
Gefängnisses MØllergate in
Oslo, des Autors Petter Moen, der räumlichen Situationen, der
Papierrollen und einer Tagbuchseite.
Lesenswert:
Gisela Schneemann hat das Tagebuch in einer neuen Übersetzung als pdf-Datei eingestellt:
Gisela Schneemann hat das Tagebuch in einer neuen Übersetzung als pdf-Datei eingestellt:
Dort
findet sich der erste Eintrag vom 10. Februar 1944:
DER
7. TAG MEINES GEFÄNGNISAUF ENTHALTS IN DER MØLLERGATE 19
(Donnerstag,
10. Februar)
Bin
zweimal verhört worden. Wurde ausgepeitscht. Verriet Vic*. Bin
schwach. Verdiene Verachtung. Habe furchtbare Angst vor Schmerzen.
Aber keine Angst vor dem Sterben.
Ich
denke heute abend an Bella. Weinen, weil ich Bella so viel Böses
getan habe. Wenn ich am Leben bleibe, müssen Bella und ich ein Kind
haben.
(Der
Name „Vic“ war nicht mehr zu rekonstuieren.)
Aus:
Petter Moens Tagebuch. Hrsg. v. Edzad Schaper. Frankfurt/M. 1959.
Hier das
Fischer-Tagebuch im Bild:
Ergänzung.
Ich habe
für eine religionskundliche Fachzeitschrift einen Artikel über
Petter Moen publiziert:
Reyntjes, Anton
Stephan: Petter Moens Aufzeichnungen aus der Haft.
- In: Religion
heute, (2001) 48, S. 266-269 - Illustrationen - ISSN: 0722-9151 -
deutsch
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