Eduard M ö r i k e:
- GOTTES
BRÜNNLEIN HAT WASSERS DIE FÜLLE: Scherzhafte Bekräftigung eines
Gastgebers, daß genug zum Trinken vorhanden ist; manchmal auch als
Hausinschrift. In einem Dankpsalm für die Gaben Gottes heißt es:«Du
suchst das Land heim und bewässerst es; Gottes Brünnlein hat
Wassers die Fülle (Ps 65,10). -
Eduard Mörike:
Begegnung
Was doch heut’
Nacht ein Sturm gewesen,
Bis erst der Morgen
sich geregt!
Wie hat der
ungebetne Besen
Kamin und Gassen
ausgefegt!
Da kommt ein
Mädchen schon die Straßen,
Das halb
verschüchtert um sich sieht;
Wie Rosen, die der
Wind zerblasen,
So unstet ihr
Gesichtchen glüht.
Ein schöner Bursch
tritt ihr entgegen,
Er will ihr voll
Entzücken nahn:
Wie sehn sich
freudig und verlegen
Die ungewohnten
Schelme an.
Er scheint zu
fragen, ob das Liebchen
Die Zöpfe schon
zurecht gemacht,
Die heute Nacht im
offnen Stübchen
Ein Sturm in
Unordnung gebracht.
Der Bursche träumt
noch von den Küssen,
Die ihm das süße
Kind getauscht,
Er steht, von Anmut
hingerissen,
Derweil sie um die
Ecke rauscht.
(1828)
**
Mörikes
Vorlage:
Das Wiedersehen am
Brunnen
(„Mündlich
überliefert“, geben die Herausgeber des „Des Knaben Wunderhorn“
an.)
Es war einmal ein
junger Knab,
Der hat gefreit
schon sieben Jahr
Um ein fein
Mädlein, das ist wahr,
Er konnt sie nicht
erfreien.
"Ei, komm den
Abend, junger Knab,
Wenn finstre Nacht
und Regen ist,
Wenn niemand auf
der Gasse ist,
Herein will dich
lassen."
Der Tag verging,
der Abend kam,
Der junge Knab
geschlichen kam,
Er klopfet leise an
die Tür:
"Steh auf, ich
bin dafür.
Ich hab schon lang
gestanden hier,
Ich stand allhier
wohl sieben Jahr."
"Hast lang
gestanden. Das ist nicht wahr,
Ich hab noch nicht
geschlafen.
Ich hab gelegn und
hab gedacht,
Wo nur mein Schatz
noch bleiben mag,
Er macht mir
allzulang, zu lang,
Mir wird ganz angst
und bange."
"Wo ich solang
geblieben bin,
Das darf dir wohl
gesaget sein,
Bei Bier und Wein ,
wo Jungfern sein,
Da bin ich allzeit
gerne."
Es war wohl um die
Mitternacht,
Der Wächter fing
zu läuten an:
"Steh auf, wer
bei Feinsliebchen liegt,
Der Tag kommt
angeschlichen."
Das Bürschlein auf
die Leiter sprang
Und schaut die
Stern am Himmel dicht.
Ich scheide nicht,
bis Tag anbricht,
Bis alle Sterne
schwanden."
Es sah das
Morgensternlein nur,
Als sich der Knab
von ihr gewandt;
Das Mägdlein
morgens früh aufstand,
Ging an den kühlen
Brunnen.
Begegnet ihr
derselbig Knab,
Der nachts bei ihr
geschlafen hat,
Viel guten Morgen
boten hat:
"Gut Morgen,
mein Feinsliebchen.
Wie hast geschlafen
heute nacht?"
"Ich hab
gelegn in Liebchens Arm!
Ich hab geschlafen,
daß Gott erbarm,
Mein Ehr hab ich
verschlafen!"
**
Interpretation
von Renate von Heydebrand:
1828 schreibt
Mörike ein Erzählgedicht, das zunächst als reine, wenn auch mit
lebhafter Anteilnahme gestaltete Vorgangsbeschreibung anmutet:
Begegnung
Was doch heut'
Nacht ein Sturm gewesen
Bis eben sich der
Morgen regt!
Was hat der
ungebetne Besen
Kamin und Gassen
ausgefegt!
(...)
Der Bursche träumt noch von den Küssen,
Der Bursche träumt noch von den Küssen,
Die ihm das süße
Kind getauscht,
Er sieht, von
Anmuth hingerissen,
Derweil sie um die
Ecke rauscht.
Die Anwesenheit des
Erzählers ist noch unauffälliger, zumal auch hier wieder in der
Zeitform der Gegenwart erzählt wird. Mörike führt aber gleich in
der ersten Strophe einen Beobachter ein, der alles Künftige
wahrnimmt: jemand räsonniert erstaunt (wie die Ausrufezeichen und
-sätze anzeigen) über das nächtliche Unwetter und seine Wirkungen.
Erst später läßt sich darin auch der Kunstgriff des Dichters
erkennen, der hier zugleich die Grundmetapher für das nächtliche
Geschehen, das sich in der »Begegnung« nur spiegelt, einsetzt,
den »Sturm«. Vom Ende her erscheint damit der Erzähler schon in
der ersten Strophe als durchtriebener Schalk, der eine pikante
Geschichte anspielungsreich und doch scheinbar naiv zu
präsentieren weiß. Den Auftritt des Mädchens zeichnet er in der
Rolle des Beobachters zunächst ganz sachlich auf; dann versucht er,
den Ausdruck der schüchternen Verwirrung in ihrem Gesicht durch
einen Vergleich näher zu bestimmen, wobei als Ursache schon der
»Wind« ins Spiel kommt. Auch das Erscheinen des Burschen und seine
anscheinend plötzlich gehemmte Bewegung (»Er will ihr voll
Entzücken nahn«, kann oder darf es aber wohl nicht) wird genau
registriert. Darauf folgt ein erster Versuch der Deutung, den der
Erzähler schon durch den Modus der Aussage als subjektive Meinung
kennzeichnet: »Wie sehn sich freudig und verlegen« - vielleicht er
mehr freudig, sie mehr verlegen? - »die ungewohnten Schelme an«.
die Befangenheit, die wohl auf seiten des Mädchens etwas größer
ist, Überträgt sich auch auf den Burschen, verhindert die
vertrauliche Annäherung und läßt den Beobachter die ersten
Schlüsse ziehen. Die spinnt er denn in der nächsten Strophe weiter
aus, ganz Erzählende Darstellung diskret; er formuliert seine
Vermutung als vermutliche Frage des jungen Mannes und
verbirgt den Vorgang der nächtlichen Liebesbegegnung unter der
Sturm-Metapher. Er fühlt sich ganz in den jungen Mann ein und kann
dadurch in der letzten Strophe dessen innere Empfindungen
nachzeichnen: weniger gehemmt als das Mädchen, erinnert der sich
jetzt unverhüllt an die Liebesnacht und zeigt sich von neuem
fasziniert, wenn seine Schöne, ihre Verlegenheit in großer
Geste überspielend, »um die Ecke rauscht«. In den beiden letzten
Zeilen scheint der Erzähler aber bereits wieder Distanz zu nehmen
und sich fast über die Verliebten lustig zu machen, indem er mit
seinen Wendungen ein wenig zu hoch greift, ein anderes Milieu
unterstellt als das, dem die beiden dem volkstümlichen Ton
des Ganzen entsprechend - angehören.
In diesem Gedicht
also verrät sich der Erzähler, obgleich nicht mit dargestellt, als
anwesender Zeuge des Geschehens durch entschiedene Anteilnahme, durch
interpretierende und kommentierende Wendungen, ja, am Anfang und
gegen Ende durch sein augenzwinkerndes Bescheidwissen. Das schafft
eine „realistische“ Atmosphäre fast möchte man schon an
Spitzweg-Szenen denken -, die den Merkmalen, die auf eine
volksliednahe, literarische Situation hinweisen, entgegenwirkt. Für
den Volkston sprächen die Typisierung von »Mädchen« und »Bursch«,
die Diminutiva von »Liebchen« und »Stübchen«, ja die
charakteristische Wendung vom »offnen Stübchen« als Metapher
für Liebesbereitschaft, die Kargheit der Umweltbeschreibung (Kamin,
Gassen, Straßen). Literarisch in anderer Weise wirken das Gleichnis
von den »Rosen, die der Wind zerblasen«, das »süße Kind« und
die hinreißende »Anmuth«, und manches andere in Wortschatz und
-fügung. Keine dieser drei Stilschichten kann sich ganz durchsetzen,
und daher ist die Realitätssuggestion des Gedichts trotz der
vorgeblichen Zeugenschaft des Erzähler-Beobachters nicht allzu
stark. Der Leser empfindet das Gedicht darum eher als ein
Modell, an dem der Dichter Mörike zwei seiner Lieblingsmotive
darstellen kann: andeutend das Motiv »Lieb ist wie Wind« und
ausführlich das Motiv »gemischte Gefühlslagen«. Wie das Gedicht
Tag und Nacht lassen sich diese Verse daher auf dem Wege des
Motivvergleichs innerhalb des Gesamtwerkes auf den Autor und sein
Gefühlsleben beziehen, ohne daß von einem »Erlebnisgedicht«
gesprochen werden sollte.
(Aus:
R. v. H.: Eduard Mörikes Gedichtwerk. Stuttgart 1972: Metzler. S.
93f.; ohne Anmerkungen)
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