A. S. Rey..... |
G o e t h e -Memorabilien elfeinhalb
... zum Nach-, Vor- & Weiterlesen
Vorab ein wunderbarer Text, nein: drei!
Nein, nicht von Goethe, vielmehr über Goethe. Genauer: „Die Goethe-Philologen“, die man auch Goethe-Affen nannte; und Weiteres-Heiteres: „Über Alexandria“ und „An Weimar vorbei“.
Victor Auburtin als Kenner und Kritiker der „Goethephilologen“, ohne dass er einen Wilhelm Scherer z.B. denunziert.
Victor Auburtin:
Die
Goethephilologen
Am 8. März
1826, vormittags elf Uhr, dichtete Goethe folgenden Vers:
Wirke, Jüngling,
ziele, schaffe,
Hoher Mannestätigkeit;
Nur im Palmenbaum der Affe
Spielt und tändelt alle Zeit.
Hoher Mannestätigkeit;
Nur im Palmenbaum der Affe
Spielt und tändelt alle Zeit.
Der Olympier
diktierte dieses Verschen dem Dr. Eckermann und sandte es dann an
Cotta, damit es noch in die Ausgabe letzter Hand hineingebracht
werden könne.
Am 30. Oktober kamen die Korrekturbogen von Cotta zurück, in denen
der Vers drinstand. Goethe hatte gerade keine Zeit, denn er hatte
einen fossilen Rhinozerosschädel vor, an dem er die Knochennähte
des Os sphenoideum zu studieren gedachte. Er schob also die Bogen
Eckermann hinüber, damit der die Korrektur besorge. Aber Eckermann
schrieb eben einen Liebesbrief an seine Braut aus dem unreinen ins
reine ab. Er hatte also ebenfalls keine Zeit und las die Korrekturen
auch nicht. So blieb unbemerkt ein Druckfehler in dem Verse stehen,
und zwar folgendermaßen:
Wirke, Jüngling,
ziele, schaffe,
Hoher Mannestätigkeit;
Nur im Palmenbaum das Affe
Spielt und tändelt alle Zeit.
Hoher Mannestätigkeit;
Nur im Palmenbaum das Affe
Spielt und tändelt alle Zeit.
Die ungelesenen
Korrekturbogen gingen an Cotta zurück, und auf diese Weise kam die
berühmte Lesart »das Affe« in die Ausgabe letzter Hand und in die
deutsche Nationalliteratur.
Dreißig Jahre
später wurde die Goethephilologie erfunden. Und wenn nun mehrere
Goethephilologen beisammen sind und wenn zufällig einer von ihnen
den Vers »Wirke, Jüngling« zitiert, so passen die anderen scharf
auf, ob er ja auch richtig »das Affe« sagt, wie es der Meister
geschrieben hat. Wenn er aber aus Versehen zitiert »Nur im
Palmenbaum der Affe«, so schreit alles durcheinander: »Falsch; es
muß heißen: Nur im Palmenbaum das Affe.«
In der
Zeitschrift für deutsche Philologie, Jahrgang XXXVIII, aber schrieb
Professor Horitza folgendes: »Die Lesart ›das Affe‹, die dem
banausischen Verstand auffallen könnte, ist von dem Meister mit
sichtlichem Vorbedacht und mit feinstem Sprachgefühl gewählt
worden. Der Affe ... das wäre nur ein individueller Affe in einem
individuellen Palmenbaum ohne jede Allgemeinbedeutung. Das Affe aber
umfaßt die ganze Affenschaft der Welt. Man glaubt es tausendfach
kribbeln und wimmeln zu sehen, wenn man diese Wendung ›das Affe‹
liest, in der wahrhaft ein echter weimarischer Hauch von Ewigkeit und
Unendlichkeit zu wehen scheint.«
So ist das Affe ein Palladium und Feldgeschrei der Goethephilologen
geworden. Sie erkennen sich daran und gebrauchen es oft und gern, um
zu zeigen, wie tief sie in des Meisters Art und Geist eingedrungen
sind. Wenn jemand beispielsweise dem Professor Erich Schmidt sagt, es
sei doch gleichgültig, ob Goethe den »Erlkönig« im Jahre 1780
oder 1781 gedichtet habe, so wird der berühmte Literaturhistoriker
geringschätzig vor sich hin murmeln: »Solches Affe.«
(Zuerst in „Die Onyxschale“.
1911).
Später im Sammelband „Sündenfälle“.
Berlin 1970. S. 17f.
*
Über Goethes Affen-Wortschatz hier,
übersichtlich im Goethe-Wörterbuch:
Und hier ein anderes Bild von
Goethe-Philologen aus der Weimarer-Erben-Zeit.
**
Auburtin zum Zweiten:
Victor Auburtin:
„Über Alexandria“
Montaigne hat –
zur Zeit der Bartholomäusnacht – Beschwerde darüber geführt, daß
zu viele Bücher geschrieben würden. Und mit dem Tone des Entsetzens
und Erstaunens bemerkte er: »Es gibt Bücher über Bücher!«
Teurer
Montaigne, klügster aller Menschen, Sohn eines französischen
Beamten und einer portugiesischen Jüdin, was würdest du sagen,
lebtest du heute! Du würdest vielleicht darauf verzichten, deine
Essays herauszugeben, die du ja nur für dich und deine stillen
Freunde geschrieben hast.
Du lieber Gott,
wir schreiben ja nichts als Bücher über Bücher.
Wir besitzen
jetzt Werke, die man Literaturgeschichten nennt und die es zur Zeit
von Goethe noch nicht gab, ein Zeichen, daß es auch ohne sie geht.
Diese Literaturgeschichten sind so zahlreich, daß wohl schon eine
Geschichte der Literaturgeschichte geschrieben worden ist oder
demnächst geschrieben werden muß; und wenn dann jemand eine Kritik
über dieses Werk verfaßt, so liegt die Sache so: das ist ein Buch
über ein Buch, das sich mit den Büchern befaßt, die über Bücher
geschrieben worden sind.
Es gibt
glänzende Schriftsteller, die nie etwas anderes geschrieben haben
als über etwas. Gekräuseltes Zeug, das der Wind der Zeit wegweht.
Aber das Märchen von den sieben Zwergen, das vielleicht ein Autor
der Eiszeit verfaßt hat, raunt und klingt durch die Jahrtausende.
Darin gibt's gar nichts über; klar und einfach der Bericht des
Dichters.
Ein Zufall spielte mir dieser Tage wieder einmal Goedekes Grundriß
in die Hände, ein kolossales Werk, in dem nur die Titel der
deutschen Dichtwerke verzeichnet sind und die Bücher, die über
diese Werke geschrieben worden sind. Goethe füllt einen dicken,
engbedruckten Band. Es gibt neunundsiebzig Arbeiten über Goethe und
das Altertum (Goethe und Homer, und Äschylos, und Euripides, und
Epicharm, und Aristoteles, und Horaz, und Vergil) und
einhundertundzwölf Werke über Goethe und England. Und fast über
jede dieser Arbeiten sind zwei Dutzend andere Arbeiten geschrieben
worden.
Ein deutscher
Schriftsteller, der noch nie einen Artikel über die Frau Rat verfaßt
hat, macht sich neben seinen Brüdern geradezu verdächtig. Es muß
eine geheime Vagabondage an ihm sein.
So ähnlich war
es vor zwei Jahrtausenden, in der Stadt des Mazedoniers, in dem
ägyptischen Alexandria. Da hockten die Literaten zu Tausenden, und
einer schrieb über den anderen. Und der Philosoph Didymos verfaßte
allein für sich viertausend Bände über die Grammatik.
Das alles ging
in die Bibliothek und wurde katalogisiert und stand schön sauber und
sicher in Reihen ... bis der Araber kam mit seiner Fackel und der
große Brand aufleuchtete, nach dem eine neue Welt begann.
**
Und Auburtin zum
Dritten:
Victor Auburtin:
An Weimar vorbei
Im Speisewagen
Berlin-Frankfurt, ein Uhr, gegen Ende des ersten Mittagessens. An
meinem Tisch drei große, umfangreiche Herren, die offenbar zur
Frankfurter Messe fahren.
Alter Rotwein,
viele Schnapsgläser, Zigarren so groß wie die Zeppeline. Seit einer
Weile hält der Zug auf einer mittelgroßen, leeren Station.
Wo sind wir denn
hier? – Weimar. – Na, warum halten wir denn so lange in dem
Drecknest?
Unter den
eisernen Trägern des Bahnhofs hinweg kann man ein Stück der
Landschaft sehen. Graues oder schwärzliches Hügelgebilde, über das
gerade jetzt ein geistreiches Aprilschneewehen hinwegwandert.
Der
blendendweiße Strich dort ist eine Straße. Diese Straße ist er oft
gefahren mit seinem Eckermann, auch bei schlechtem Wetter. Und Hügel
und Schnee haben damals ebenso ausgesehen wie jetzt, haben ihm nicht
mehr geboten, als sie uns bieten.
Die Rohstoffe
seines Werkes sind unvermindert heute noch vorhanden und allgemein
zugänglich.
Inzwischen wird am Tische der Wert Weimars erwogen und besprochen: In
Weimar ist gar nichts los. – Ein ganz totes Nest. – So schlimm
ist es nun doch nicht, hier ist doch die große Pianofortefabrik von
... na ... Dingsda ... von Römhilt.
Gott sei Dank,
daß es wenigstens Pianofortes sind, denn es hätten ja auch
Gummikragen sein können. Dann hieße es heute im Volksmund: Weimar,
richtig, das ist ja die Stadt mit den Gummikragen.
Nun setzt sich
der Zug doch so allmählich in Bewegung und rückt über
Neudietendorf auf Frankfurt a. M. zu. Dort steht das Haus,
an dem immer so viele schöne Reden gehalten werden. Über unseren
Dichter, der in diesem Sinne als wahrhaft volkstümlich bezeichnet
werden muß.
*
(Aus: V. A.: „Ein Glas mit Goldfischen“
(1922). In: „Sündenfälle“. 1970. S. 194f.)
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