als Reisewagen; illustriet >im Rähmchen>
Zur Licht-Metaphorik –
gar in einem Industrierevier, gekennzeichnet als Welt der frühen
60er Jahre, als der Weihnachtstrubel installiert wurde...
[b]Lichter aller
Orten[/b]...- vor den „wihen Nachten“: Lichter zur Erleuchtung…?
Hier in dieser vergessenen
Geschchte, realistisch glaubwürdig erzählt: was anfangs die
Verführung eines Kindes verursacht durch Licht und Lärm und Hektik
– durch vorweihnachtliche Machwerk ist – findet durch eine Frau,
die die Geschichte der himmlischen Lichter und der biblischen
Weihnachtsüberlieferung kennt und ersazt-mütterlich vermitteln
kann, eine Orientierung …
Eine ganz belanglose Geschichte
Der Autor – und sein Name....?
Nein, Heinrich Böll ist es nicht.... Ich lasse den Namen hier erst
noch weg; wenn ihn jemand finden könnte, ich würde mich freuen;
aber in den üblichen Weihnachtsanthologien findet man den Titel und
den Autoren nicht mehr.
(1960 – beim Erstdruck dieser Geschichte lagen die Rechte bei dem
Eduard-Wancura Verlag, Wien-Stuttgart; mehr ist nicht bekannt. Zum
Autor, de ein bekannter Schrifsteller in der frühen Bundesrepublik
war, und zu dem Versuch, bei dem Verlag ein Abdrucksrecht für diesen
nicht kaufmännischen Bildungszweck in diesem FORUM zu erhalten,
berichte ich später....
(Der Text ist im Internet in anderen Weihnachts-Kontexten präsent...)
Hugo Hartung:
Eine ganz belanglose Geschichte
Der
Polizeibericht bestand nur aus wenigen Zeilen und war völlig
uninteressant: „Der vermißte und von der Polizei gesuchte
fünfjährige Dieter G. konnte wohlbehalten in einem Gehöft, zwölf
Kilometer von der Stadt entfernt, gefunden werden.
Unverständlicherweise machte die Frau, die das verirrte Kind
aufgenommen hatte, den Behörden erst nach drei Tagen Meldung.“
Eine
Zeitung hatte den Bericht tadelnd überschrieben: „Sträfliches
Verhalten bei Kindesauffindung“. Im Übrigen schien die
Angelegenheit zu belanglos, als daß ihretwegen Reporter bemüht oder
Photos in die Zeitung aufgenommen wurden. Dennoch möchte ich von ihr
erzählen, weil ich meine, daß sie mit dem Polizeibericht noch nicht
zu Ende ist.
Dieter
stand an einem Dezemberabend im dunklen Zimmer der Parterrewohnung
seiner Mutter und sah den milchigen Dunst über den hohen
Mietshäusern in einem ungewohnten und unwahrscheinlich
durchdringenden Violett leuchten. Er wollte wissen, woher dieses
sonderbare Licht käme. Die Wohnung war verschlossen, weil die Mutter
von der Fabrik weg gleich ins Kino gegangen war. Sie würde es nicht
merken, wenn ihr Junge durch das niedrige Küchenfenster in den Hof
hinabstiege und später auf demselben Wege zurückkehrte.
Niemand
achtete in den belebten Straßen der großen Stadt auf ein kleines
Bürschchen, das an diesem kalten Abend ohne Mantel war und zu einem
Dach hinaufstarrte, darauf hohe Neonröhren violette Buchstaben an
den diesigen Nachthimmel schrieben. Dieter, der nun wußte, woher der
neue Glanz aus der Höhe stammte, ging dennoch wie gebannt weiter. Je
mehr er sich der Stadtmitte näherte, um so wunderbarere Dinge sah
er. Funkelnde Lichterketten spannten sich über die Straßen, die
Fassaden von Kaufhäusern waren übersät mit riesigen leuchtenden
Silbersternen. Goldene Engel flogen in Schaufenstern über starr
lächelnde Modepuppen, in anderen Fenstern rasten Spieleisenbahnen
über Brücken und durch Tunnels.
Menschen,
die bunte Pakete mit silbernen und goldenen Schnüren trugen, stießen
den kleinen, blassen Jungen an. Autotüren knallten. Die Luft war
voll Benzingeruch, und aller Lärm der lauten Straße wurde
überdröhnt von einem Lautsprecher. Knabenstimmen, ins
Riesenhafte verzerrt, brüllten „Stille Nacht, heilige Nacht«.
Dieter
ging durch die laute, unheilige Nacht des frühen Dezembers und
wußte nicht mehr, wohin er ginge. Er kam durch fremde
Vorstadtstraßen; denn dort im Industrierevier wuchsen die Städte
immer mehr zu einem gigantischen Stadtmoloch' zusammen. Der Moloch
spielte auf der Gemütsharfe. „Weihnachts-Vorfreude“ nannte er
seine Melodie. Reklame und Weihnachtsgeschäft hieß sie in
Wirklichkeit.
Als die
Frau das erschöpfte Kind vor dem Zaun ihres Anwesens fand, geschah
es, weil ihre Hunde sie geweckt hatten. Es waren mächtige Tiere,
Neufundländer, aber ihr drohendes Gebell erschreckte den halb
ohnmächtigen Knaben in den Armen ihrer Herrin nicht.
Aus der
Erschöpfung sank Dieter in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst am
nächsten Mittag erwachte. Er nannte der Frau seinen Namen - Dieter
Groß -, aber er wußte den der Stadt und ihrer Straße nicht. Er
wußte vieles nicht. Wie sein Vater hieß und ob er noch lebte. Warum
das Weihnachtsfest gefeiert würde, das jetzt schon soviel Licht,
Glanz und Lärm über die Straßen brachte. Er fragte auch nicht
danach. Doch fragte er die Frau, warum sie so riesengroße Hunde
besäße. Sie habe eine Hundezucht, sagte sie, seit sie auf der
Flucht in dieses Land gekommen sei. Das Kind wußte auch nicht, was
Flucht ist.
Die Frau
erklärte es dem kleinen Jungen und sagte ihm, warum die Menschen
Weihnachten feiern. Sie fragte ihn, ob er denn nicht die Geschichte
von der Heiligen Nacht in Bethlehem kenne. Er sagte, ihm gehöre nur
ein Geschichtenbuch und zog ein zerfledertes Heftchen aus der
Hosentasche, darin riesige Muskelmänner mit dünnen Köpfen
aufeinander einhieben, und aus den Mündern stiegen ihnen
Seifenblasen, in denen Wortfetzen standen. Die Frau zerriß das
Heftchen und warf es in den Ofen.
Sie benahm
sich überhaupt merkwürdig und sogar „sträflich“, wie nachher
die Zeitung in ihrer Überschrift schrieb. Sie benachrichtigte
die Polizei nicht von dem aufgefundenen Kind. Sie beherbergte es drei
Tage bei sich, erzählte ihm von vielen merkwürdigen Dingen und
Begebenheiten und zog ihm einen Mantel über, der ihm beinahe paßte
und der herrlich warm war. Ihr Peter sei zwar ein Jahr jünger
gewesen, aber damals schon sehr viel größer, als er auf dem
Treck' aus Schlesien in einer Januarnacht erfroren sei. Dieter
lachte, weil er das Wort „Treck“ komisch fand.
Schon am
zweiten Tage war Dieter mit den Hunderiesen gut Freund. In der Nacht
nahm ihn die Frau mit vors Haus. Draußen war eine sonderbare Luft -
leicht zu atmen und ganz ohne Geruch - und eine Stille, wie das Kind
sie nie kennengelernt hatte.
Nur ein
fernes Summen hörte man noch von den Städten, über denen am
Horizont ein gleißender Lichtstreifen lag. Und über ihnen und über
den Feldern am Rande des Industriereviers standen viele Sterne.
Der Junge
sagte zu der Frau, in den Straßen seien die Sterne viel heller und
viel größer; und er lachte sie aus, als sie ihm weismachen wollte,
diese winzigen Lichtpünktchen da droben seien millionenmal heller
und millionenmal größer als alle Reklamesterne der Großstädte
zusammengenommen. Aber als sie die Sterne zu Bildern werden ließ,
die sie ihm am Himmel zeigte, und als sie von einem besonders hellen
Stern sprach, der in einem fremden
Palmenlande
über einem Stall mit einem neugeborenen Kind in einer Pferdekrippe,
inmitten von Ochs und Esel, von Hirten und Königen gestanden habe,
sagte er, das sei doch eine ganz hübsche Geschichte. Ob sie noch
mehr davon wüßte.
Vielleicht
lag es an diesen Geschichten, daß die Frau von der
„Kindesauffindung“, wie das die Zeitung nannte, der Polizei so
spät Mitteilung machte. Als Frau Groß ihren Dieter abholen kam,
freute er sich nicht einmal besonders darüber. Doch die Mutter nahm
ihm das nicht weiter übel. Ja, sie zeigte sich großzügig, als die
Gastgeberin ihres Jungen sie bat, er möge die Weihnachtstage bei ihr
verbringen. An den Feiertagen gab es in den Kinos großartige
Programme, und sie würde dann sowieso nicht wissen, was sie mit dem
Kind anfangen sollte. Als sie fortgingen, streichelte Dieter zum
Abschied die großen Hunde.
Das ist
die belanglose Angelegenheit, die ein Polizeibericht in fünf Zeilen
zusammenfaßte. Aber man wird mich jetzt vielleicht verstehen, wenn
ich sage, sie dürfte mit jenen drei Adventstagen nicht zu Ende
gewesen sein.
Anmerkungen:
Moloch = Götze, dem Menschen geopfert werden; sinnbildlich für:
Macht, die alles verschlingt (z. B. der Moloch Verkehr)
Treck = Flüchtlingszug
* *
Zum Autor:
Hugo H a r t u n g (1902 - 1972) ist fast völlig ins literarische
Abseits gerutscht.
Er schrieb ansprechende, intelligente Unterhaltung; erhielt 1936
Schreibverbot; sein größter Erfolg war der Roman "Ich denke
oft an Piroschka" (1954). Sein wichtigstes Buch wurde - auch
wegen der großartigen Verfilmung - "Wir Wunderkinder"
(1957).
*
Arbeitsauftrag (für Klssse 9/10):
* Erzähle die
Geschichte nach und erkläre die Symbolik der Lichter, die die
Lichtquellen auf Erden und am Himmel zur Deutung anbietet.
* Erörtere, ob die Frau, die den Jungen aufnimmt, alles richtig
macht.