Dienstag, 13. Mai 2025

Zu Bölls Erstling: 'Der Zug war pünktlich' (1949)


H e i n r i c h   B ö l l
s  Erstling:  Der Zug war pünktlich (erschienen als erste Buchveröffetlichung von Böll):

Für mich 'interessant': Anknüpfend an diese interessante Stimme:

... berichtet von deutschen Autoren, die die Ukraine besuchen und in ihren  Werken zur Kenntnis nahmen: https://ukraineverstehen.de/gusieva-ukraine-in-den-buechern-der-deutschen

Deutsche Rezensionen (erschienen 1950/51:

E. H. L.: Heinrich Böll: Der Zug war pünktlich

So, wie uns aus der Höhlung der Muschel, wenn wir sie ans Ohr heben, das Rauschen des Meeres nachklingt, so dringt aus diesem kleinen Buch ein Widerhall jenes schmerzzerrissenen Schreis, in dem sich die gequälten Herzen der am Kriege leidenden Menschen sechs Jahre lang vereinten. Es sind nur drei Soldaten, die der Autor uns schildert, drei zur Front zurückkehrende Urlauber, und sicherlich werden sich viele nicht mit ihrer Haltung und ihren Empfindungen identifizieren. Aber es war, glaube ich, auch nicht der Ehrgeiz dieses erschütternden Bändchens, allgemeingültige Typen zu beschwören, sondern mit dem Senkblei der Sprache das Tränen- und Blutmeer auszuloten, von dem wir uns schaudernd abgewandt haben. Soweit ein solcher Versuch gelingen konnte, ist er, scheint mir, geglückt. In einer Sprache (der des jungen Borcherts verwandt), die in eigensinniger Hartnäckigkeit Einlaß in die Tiefe sucht, wird auf der Suche nach Trost die Verzweiflung beschwo-ren, die Verzweiflung eines Jünglings z. B., der, anstatt Pianist werden zu dürfen, erst das Abitur machen mußte, dann in den Arbeitsdienst, dann in die Armee und schließlich in den Tod gestopft wurde. Ein Tiefseefisch unter dem üblichen Fang aus den oberen Gewässern der Literatur. (Es heißt, sie vertragen die Drucklosigkeit nicht und sind, schon nicht mehr das, was sie unten waren.)  <In: „Neue Bücher“ (Frühjahr 1950)>

>>Gert Kalow: „Achtung ein Dichter!“

Jene Generation, bei Kriegsbeginn noch halbe Knaben, dreißigjährige Männer als sie endlich aus Krieg und Gefangenschaft heimkehrten, jene geschlagene und gezeichnete Generation, die den Abgrund der Zeit wie keine andere erfuhr, schwieg und schweigt noch immer. Die junge deutsche Literatur ist stumm. Endlich meldet sich eine erste Stimme: ein schmales Bändchen, eine Erzählung liegt vor uns, von einem dieser Menschen geschrieben, von einem dieser Menschen handelnd. Ein Kriegsbuch. Ein Kriegsbuch wie wir vor diesem keines gelesen haben. Das ganze, riesige, schrek-kliche Geschehen des Krieges, eingefangen in die Lupe weniger Tage, ja Stunden eines einzigen, armseligen Lebens. Kein altes Pathos, aber auch kein Remarque, vielmehr die hautnahe Wirklich-keit einer einfachen, das dunkle Tal bis zum Ende durchschreitenden Seele. Kein gelogenes Wort, kein modisches Brillieren mit Dreckigkeiten, sondern das Furchtbare ruhigen Auges überschaut und gemeistert. Hier ist ein Autor, der schreiben kann, dessen Feder dorthin reicht, wo jeder von uns zusammenzuckt. Hier hat jemand den Krieg gewonnen. Merken Sie sich diesen Namen: Heinrich Böll. <In: Forum Academicum (Heidelberg), Nr. 2/3, 195I>

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N. N.: Zuruf an einen jungen Dichter

Der Name Heinrich Böll hat sich nach der Lektüre seines ersten Buches „Der Zug war pünktlich“ (1949, Verlag Friedrich Middelhauve, Opladen, 146 Seiten, gebunden 4,80 DM) unserem Gedächtnis eingeprägt. Damit ist schon ein sehr positives Wort für diesen Schriftsteller und sein Buch ausgesprochen. Und mit Recht! Zu der Vielzahl der mehr oder weniger mißglückten Prosaversuche junger deutscher Dichter zählt Heinrich Böll nicht. Er hat sich mit diesem Buch bereits einen guten Platz im literarischen Feld gesichert; er wird ihn behalten, festigen, je mehr sich seine gestaltende Kraft entfaltet. Noch ist zu stark der Hang zum Meditieren in ihm mächtig und vorherrschend. Aber die Anlage zum konzentrierten Erzählen ist fühlbar. Böll erzählt von einem Urlauber, der wieder zur Front fährt. Es ist die Zeit, da die Fronten im Osten zusammenbrechen, 1943. Es ist ein junger Soldat, 23 Jahre alt. Die Angst, das Entsetzen haben ihn gepackt; ein maßloser Ekel vor dem Krieg, vor Hitler, den er mit der ganzen Kraft seiner Seele haßt, erfüllt diesen jungen Menschen. Er will leben, aber nicht sterben. Und dennoch: mit der Wucht unaufhaltsamer, geheimer Kräfte frißt sich in ihm die Gewißheit fest, daß er sterben wird. Bald! Dieses kleine Wort gewinnt unerhörte Gewalt über ihn. Bald, - das kann morgen sein, übermorgen, irgendwo im polnischen Land mit dem weiten Horizont! - Um diese mörderischen Gedanken rankt sich sein Denken und Fühlen. Böll preßt dieses sich hart vom Todeswahn bedrängt und gefährdet geglaubte Leben in die kurze Spanne Zeit von drei Tagen, die der Soldat Andreas in dem trostlosen Urlauberzug zubringen muß, der ihn seiner Bestimmung zuführt. Beklemmende und die Nerven erregende endlose Stunden durchlebt dieser junge Deutsche, der seine Lebenszeit gezählt weiß. Bald! Immer wieder taucht dieses Wort in ihm auf und zermürbt ihn. - Mit großer Realistik gibt Böll die innere und äußere Situation des Soldaten Andreas. Mit sparsamen Worten weiß er die mitfahrenden Kameraden und die Atmosphäre dieses 'Urlauberzuges von Paris nach Przernysl' zu schildern, an die sich jeder einstige Urlauber mit Grauen erinnert ... ! Erschienen: Die Freiheit (Koblenz) v. 2. 3. 195I

Stellenkommentar zum Druck „Der Zug war pünktlich“

>Ergänzend>Wortkunde: KA. Bd. 4.:

294.4 sonore] Zu lat. sonorus -schallen-, -klangvoll-, -volltönend-.

294. 5 Fronturlauberzug] Für die Beförderung von Wehrmachtsurlaubern wurden besondere Schnellzüge für Fronturlauber eingesetzt. So war schon bald nach Kriegsbeginn ein besonderes Zugnetz für Urlauber entstanden, auf dem die Züge nach festgelegten Plänen verkehrten. (VgJ. a. Kreidler 1959, S. 306) 


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