>Gesicht - verborgenes Antlitz<
Gertrud Kolmar: D i e L e u g n e r i n
Einst zog ich Gott mit meinen Kleidern ab.
Ich warf ihn hin. Er hing vom
Stuhl herab,
Wo schmaler Florstrumpf um die Lehne rankte.
Wie
lang schon, daß ich nicht mit ihm mehr zankte!
Den Wänden
ward mein Antlitz zugekehrt.
In lockre Träume stieg ich
unbeschwert;
Aus meinen Hüften brachen blaue Falter,
Mit
nackter Sohle trat ich Staub und Alter.
Und als sich
Wiesenlandschaft wirr verschob,
Ein Nachtmeer schauernd mich in
Morgen hob,
Da griff ich Hemd und Kittel, Gurt und Kragen,
Fand
nicht mehr Gott und dachte nicht an Fragen. -
Ich war allein
und schluchzte, rief und rief
Und schrie. Doch Gott schrieb einen
Herbstmondbrief,
Gott rollte Sterne aus dem Wunderknäuel.
Und
mir am Bette kniet' ein blödes Scheuel.
Ich streute
Lampenwärme, gelben Sand,
Es zuzudecken. Wühlte Tuch und
Band,
Gott nachzuspähn. Bin müd in mich verkrochen. -
Gott
lag sehr fest um meinen Stirnenknochen.
Er
war mir angewachsen als die Haut,
Von Glut geschwächt, in Frösten
aufgerauht,
Ganz fahl und wund gebeizt von bittren Laugen.
Und
fiel als Lid auf jedes meiner Augen.
*
Entstanden 1930; aus: G.K.: „Die Frau und die Tiere (1938). .
*
Eine schöne, ergiebige Interpretation liefert: Georg Langenhorst. In: Gedichte zur Gottesfrage.T exte. Interpretationen. Methoden. München 2003. S. 84f.
Vor einigen Tagen habe ich diesen lyrischen, aber existenziell-kognitiv gesteuerten Text einem geistlichen Freund geschickt: Auch er fand ihn so schön (ja: auch für mich, für meine agnostische Entwicklung):
Beitrag, aus Kirche in WDR 2 | 12.11.2025 05:55 Uhr |
Dann, frühmorgens, wenn ich nach meinen Dreistunden-Schlaf, um 6:12 Uhr, den Beitrag Kirche-im-WDR“ lausche: und so bietet er sich mir an, als Beispiel einer Fürsorge, die hier, in dieser fabelhaften Morgenunterhaltung angeboten wird; ja, so darf man fabulieren (dass er mir nützt, mit gefällt – mit warmen-herzlichen Dank an die Pfarrerin! -
Ihre glückliche Tierfabel, der Bezug zu Gott – beide Elemente betreffen mich fundamental; so wie der Text von Gertrud Kolmar mich an-be-traf, mich berührte!
Katrin Berger: Der verlorene Hund
[Ein Hund geht verloren; nach zwei Tagen wird er, ein glüoklicher Zufall, gefunden - und kommt zurück zu der Besitzerin,, der Frau Katrin Berger; [bitte diesen aufregend erzählten Teil der Erzählung selbst studieren unter dieser URL:
(Dann folgt der Erzählabschluss):
Egal wo ich an diesem Tag hingehe, zeigen mir Menschen, wie sehr sie sich freuen, dass Perla wohlbehalten zurück ist. Dabei denkt mein Herz immer wieder an den Hirten aus der Bibel, der nach dem einen Schaf sucht und dafür 99 andere zurücklässt. (1)
Dieser Hirte, der für Gott steht, sucht so nach seinem Schaf, wie wir in Rothenuffeln1] nach Perla – mit aller Kraft, mit Gebeten, Bangen und Hoffen.
Mir wird warm bei dem Gedanken: So sucht Gott nach mir und auch nach dir, wenn wir nicht bei ihm sind. So freut sich Gott, wenn wir wieder da sind, wo wir hingehören.
Quellen: (1) Die Bibel, Lukas 15
* *
Ich – als Literaten-Kind - sind seltsam die Wege meiner Erkenntnis: ob lyrisch, allgemein-erzählerisch - oder mit den biblischen Elementen der Topoi [von den Wegen und dem liebenden Hirten), die unsere abendländisch-christliche Kultur prägen.
1] [Mir nicht erklärbarer Begriff; abgeleitet von „Rotte“??

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen